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Die fehlerhafte Familie Facebook

Auf Seite 2 der ZEIT sollte nicht allzu viel Unsinn verzapft werden — dass sollten sich die Redakteure lieber für die hinteren Seiten aufsparen. Dennoch hat der Artikel “Familie Facebook” die Qualität, die schon der kleine, aber feine Rechtschreibfehler “E-mils” symbolisiert.

Was mir die Familie Pourkashani da schönes erzählt, wie Facebook ihre Kommunikation vereinfacht, oder auch nicht, ist mir eigentlich ziemlich egal. Das ist wohl eher interessant für die vielen Studienräte, die die Zeit ja abonniert haben sollen.

Aufschlussreicher ist das, was Redakteurin Khue Pham zwischen den Zitaten runterschreibt. Gehen wir mal einige Passagen durch:

Und wie Menschen miteinander umgehen, hat sich fundamental verändert. Man führt sein Leben – und dokumentiert es gleichzeitig im Netz, abrufbar für beinahe jeden, vermutlich für immer.

“Beinahe jeden”? — zumindest für meine paar hundert Facebook-Freunde von den Milliarden von Erdbürgen die es sonst noch gibt, ja genau, also quasi für jeden. Und dann sind das auch nur einige wenige Aspekte des Privatlebens, aber das entscheidet jeder Nutzer individuell. Dass man sein Leben nicht auf Facebook “führt”, sondern eher selektiv bestimmte halbprivate Dinge wie Fotos oder Veranstaltungen reinstellt, geht in dieser faulen Zuspitzung verloren.

Bis Gerüchte zu kursieren begannen, das iranische Regime unterwandere die Seite, um seine Kritiker zu verfolgen. Auch so ein Facebook-Dilemma.

Viele Kommunikationskanäle können leider abgehört, gehackt oder unterwandert werden. Welche Konsequenzen könnte Familie P. daraus ziehen? Nicht mehr zu telefonieren oder zu emailen, weil diese Technologie ja auch politisch missbraucht werden könnte? Das ist kein “Facebook Dillemma”, das ist ein generelles Technologiedillemma.

Und immer mehr Werbung. Viele große Firmen nutzen die Plattform für Marketingzwecke; die Deutsche Bahn verkauft von Montag an Sonderpreis-Tickets exklusiv auf Facebook. Auch das ist eine Grenzüberschreitung, eine Ausweitung der Privatzone. Man könnte auch sagen: eine Ausbeutung der Nutzer.

Ich kenne dieses Bahn-Angebot nicht, aber so wie das hier beschrieben wird ist das ganz normale, faire und kluge Werbung. Wagt es die Bahn etwa auch, irgendwo in der rechten Ecke auf Facebook eine Anzeige fürs Facebook-Angebot zu schalten, und mich damit, nach Phams Worten, “auszubeuten”? Obwohl ich die Zeit auch im Bett oder in anderen privaten Situationen lese, ist es doch normal, dass es Werbeanzeigen gibt, die den Facebook- oder Lesespaß auch finanzieren. Facebook ist keine Privatzone, sondern ein Café, in dem halböffentlich kommuniziert wird.

Als die sich anmeldeten, erlaubten sie der Seite, ihre E-Mail-Konten zu durchsuchen nach Kontakten, die bereits Mitglieder auf Facebook waren. Sie wussten nicht, dass Facebook ihre E-Mail-Listen speichern würde, um später Nichtmitglieder wie Gelareh anzumailen. Noch ein Vertrauensbruch von Facebook.

Ich muss zugeben, dieser Friendfinder ist ein Unding seitens Facebook. Aber andererseits auch ein “Intelligenztest” seiner Nutzer, wie zynischerweise mal auf Twitter geschrieben wurde. Es erschreckt mich doch, wie viele Menschen ihre Email-Account-Daten naiverweise an ein anderes Unternehmen geben. Das ist ungefähr so, als würde ein Onlineshop fordern, doch gleich die Bankdaten mit PIN zu geben, um die Bezahlung durchzuführen.

Imperien entstehen dort über Nacht. Doch sie können, wenn sie ihre Faszination verlieren, fast ebenso schnell wieder verschwinden. Einst war MySpace viel größer als Facebook, heute spricht kaum jemand mehr davon.

Facebook ist eher eine Metapher für Social-Networking. Das Unternehmen Facebook kann untergehen, Social-Networking wird weiterhin wachsen. Dieses Schusswort ist sehr hohl, da der Artikel auf der einen Seite darstellt, wie Facebook doch die ganze Familie P. im Kommunikationsverhalten prägt und am Ende Facebook als Trend kleinredet. Das war vielleicht bei Myspace der Fall, aber die Nutzer waren auch nicht derart vielfältig und über Generationen vertreten. Ob sie das Social-Networking auf Facebook betreiben, oder woanders, können wir erst in fünf bis zehn Jahren beantworten.

So interessant das Bild der Facebook Familie in diesem Artikel doch ist, es wird leider auf niedrigem Niveau über die Facebook Entwicklung geschrieben. Ganz wie der “The Social Network” Film beschwört dieser Artikel das übliche Negativbild herauf, dass alles nur Trend sei und hinter der Fassade doch viel schlechtes steckt.

October 24, 2010 at 7:53 pm Leave a comment


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